Dienstag, 16. Januar 2007

Die Hippiezeit - Love and Peace - Teil 2

Nachdem ich ja schon den weit überschätzten Loveteil, der Love und Peace Hippiezeit abgehandelt habe, will ich nun ein wenig auf den weit unterschätzten Peaceteil eingehen. Rein optisch gesehen hat das wahrscheinlich total bescheuert ausgesehen auf jeden Fremden zuzugehen mit den zum Victory Zeichen gespreizten Fingern und hey Peace zu sagen, zumal man ja doch meist ziemlich breit in der Birne war und in diesem Zustand selbst den Teufel mit Peace begrüsst hatte, doch es war wirklich eine friedvolle Zeit. Schlägereien auf dem Schulhof - undenkbar - jeder Aggressor wäre sofort von einer Gruppe friedenswütiger Schüler umringt worden, die ihm ein freundliches hey Peace Mann ins Gesicht geschmettert hätten.
Es gab nur einen Grund halbwegs Aggressionen zu zeigen, und zwar um in Rockkonzerte zu kommen. Damals war musikalisch einfach eine geile Zeit. Bands wie Led Zeppelin, Deep Purple, T-Rex, Steamhammer, Spooky Tooth standen am Anfang und waren noch keine Megaacts. Waren mehr Zuschauer da als Eintrittskarten wurden die Hallen gestürmt in diesem Chaos war es dann unmöhlich zu kontrollieren wer ne Karte hatte und er nicht Um es auf den Punkt zu bringen: Aggressionen waren ansonsten so ziemlich das uncoolste in dieser Zeit. Man ging freundlich miteinander um, Konkurrenzkampf schon in der Schule war uncool, man ließ abgucken und abschreiben und versuchte die Schwächsten nicht zu treten sondern ihnen zu helfen. Es war zwar cool lange Haare zu haben und hippe Klamotten zu tragen aber es ging nicht um Markenklamotten sondern um Individualität und Kreativität und andere die wegen ihrer Eltern konservativ altmodisch rumlaufen mussten wurden nicht ausgeschlossen sondern nur bedauert. Man war hilfsbereit, tolerant und ohne Vorurteile, Fremden gegenüber war man neugierig und nicht ablehnend. Grössere Strecken wurden per Anhalter zurückgelegt und das funktionierte gut. Wir sind einmal mit 30 Leuten ins 650 km entfernte Dänemark getrampt und waren alle am selben Abend da. Die Kriminalität war gering, kaum ein Autofahrer hatte Angst vor Trampern und auch die brauchten kaum etwas zu befürchten. Die einzigen Gefahren für Anhalter waren Schwule und das hatte gesellschaftliche Gründe. Damals gab es noch den diskriminierenden Paragrafen 175, der homosexuelle Betätigung unter Strafe stellte, was es für Homosexuelle tierisch erschwerte einen Sexualpartner zu finden.
Wir mieden damals wie die Pest das Frankfurter Kreuz, denn dort fuhren Schwule immer im Kreis umher um ihr Glück bei männlichen Anhaltern zu versuchen. War man nicht willig dann hielten sie einfach an und warfen einen an Ort und Stelle raus und man konnte zur nächsten Auffahrt laufen. Ziemlich unangenehm. Zuerst die Anmache in einem fremden Auto und dann der Fußmarsch. Die 175 er, so wurden sie genannt, waren damals deshalb bei Trampern nicht gerade beliebt, zumal kaum ein Hetero damals wußte was schwul war, denn man kannte ja keinen. Erst viel später wurde mir klar was es mit den vielen Fräuleins die auf unserer Schule unterrichteten und die paarweise zusammenwohnten auf sich hatte. Der Groschen fiel bei mir erst als ich in die Schwulenhochburg Berlin gezogen bin.
Berlin übte in dieser Zeit eine magische Anziehungskraft auf Männer zwischen 18 und 25 aus wegen einer politischen Besonderheit: Westberliner durften nicht zur Bundeswehr.
Da wir ja alle peacemässig unterwegs waren gab es für uns ein Hauptproblem: die Bundeswehr. Natürlich verweigerten viele aus politischen Gründen andere aber weil sie schlicht keinen Bock hatten sich die Haare schneiden zu lassen, denn kurze Haare waren superuncool. Leider war die Verweigerung nicht so einfach wie heute, denn man musste eine Gewissensprüfung ablegen. Das heisst man wurde geladen und saß vor stockkonservativen Leuten und mußte denen klarmachen warum man nicht wollte. Man wurde immer mit den gleichen Fragen konfrontiert: Familie wird überfallen, greift man zur Waffe, die Freundin wird fast vergewaltigt und man kann sie nur per Waffengewalt retten usw. Mir kamen sie völlig doof. Ich hatte gerade den Führerschein gemacht für 254,30 DM, gesponsort von meiner Oma. Da es ja theoretisch möglich sei mit dem Auto durch einen bösen Zufall einen Menschen zu überfahren, würden sie mich nur anerkennen wenn ich an Ort und Stelle meinen Führerschein abgäbe. Auf meinen Einwurf, das ich ja wohl kaum mit dem Vorsatz Auto fahren würde einen Menschen zu überfahren, im Gegensatz zu einem Soldaten im Gefechtsfall der sehr wohl den Vorsatz hat seine Gegner zu töten, gingen sie überhaupt nicht ein und erkannten meine Gewissenskonflikte nicht an.
Jetzt blieb als einziger Ausweg nur noch die Flucht nach Berlin.

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