Freitag, 9. März 2007

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo - Teil 2

Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo
Zuerst einmal zog ich zu Hans, dem Kamera-Assistenten, der hatte eine Riesenwohnung in der Pallasstrasse am Winterfeldtplatz - endlich wieder eine Dusche. Es ging auch gar nicht anders, meine alte Wohnung lag in Schutt und Asche.
Nach meiner Rückkehr stellte ich fest das alle meine Wände nass waren. Der Mieter über mir ließ seit Tagen das Wasser überlaufen. Die Hausverwaltung reagierte nicht auf meine Klagen. Irgendwann als ich gerade die Toilette verlassen hatte machte es rumms und der gesamte Putz fiel von den Wänden und die Decke kam runter, nun war meine Bude endgültig unbewohnbar.
Es gab noch ein anderes Problem.
Mein Nachbar auf demselben Stock, ein Suffkopf, den ich bisher immer nur morgens auf dem Weg zur Uni gesehen hatte, mit einem Handwagen voller Bier und Korn auf dem Weg in seine Wohnung, hatte mich mal auf ein Bier eingeladen. Anstandshalber war ich rübergegangen. Die Bude war voller Trinker, voller menschlicher Ruinen, die sich im Akkord betranken, auch Frauen waren dabei. Nach einer Stunde sagte mein Nachbar, so jetzt rutschen wir über die Mädels und dann gehen wir zum Bahnhof Zoo einen trinken, alle lachten und begannen sich auszuziehen. Igittigitt, ich machte mich sofort vom Acker. Fortan hatte ich Probleme wenn mein Nachbar außer Haus soff. Dann bollerte es nachts um drei an meine Tür, einer seiner sturzbetrunkenen Freunde stand dann meist da und lallte: Ey Kumpel, kann ich bei Dir mal ein Bier trinken. Erst wollte ich mir für diese Gelegenheiten einen Baseballschläger besorgen. Der Umzug zu Hans war aber die bessere Lösung.
Die Vorbereitungen für den Dreh waren in vollen Gange. Ich hatte einen Höllenrespekt vor all den Profis, hatte ja keine Ahnung, das viele auch am erst am Anfang ihrer Karriere standen.
Mit Nadja gab es ein Problem, sie hatte noch keinen Busen. Colin Arthur unser Maskenbildner ein absoluter Profi und superkomischer Engländer modellierte ihr einen Gummibusen, den sie beim Drehen immer anschnallen mußte. Er wollte immer bei Babette der Regieassistentin Maß nehmen, aber die zierte sich, so mußte er sich auf seine Eingebung verlassen. Er konstruierte auch die Spritzen, die wir verwendeten, sodaß es echt aussah ohne im Film schneiden zu müssen ( Flüssigkeit rein, Blut raus ). Die Dreharbeiten verliefen sehr harmonisch.
Myrella die Kostümbilderin brachte ab und zu mal ihren Freund mit zum drehen, der half mir hin und wieder die Kamerakoffer zu schleppen, wenn er sich langweilte - ein sehr netter Amerikaner. Als ich dann Tage später erfuhr wer das überhaupt war, konnte ich es gar nicht fassen. Es war Edwin Moses, der Goldmedaillengewinner über 400m Hürden und mehrmalige Weltmeister. Ein sehr bescheidener, freundlicher Mann. Die zwei heirateten dann 1982 und Myrella zog nach L.A.. Später wurde dann Edwin irgendwann von der Polizei mit einer Prostituierten erwischt und sie ließen sich 1991 wieder scheiden.
Die Dreharbeiten zogen sich in die Länge, wochenlang drehten wir in einer Wohnung die wir als Fixerwohnung herrichteten, das heißt die sah dann aus wie die Küche bei Hans und mir, unsere Abteilung verdorbene Lebensmittel.
Jedes Teammitglied brachte seinen Hausmüll mit und den kippten wir dann in die Wohnung, Sagrotan drüber und fertig. Das sah sehr authentisch aus, war aber ziemlich eklig.
Jürgen Jürges der Kameramann war ein Meister seines Fachs und Hans war ein Spitzenassistent, ich konnte viel von ihnen lernen.
Unseren Regisseur Uli Edel fand ich ebenfalls gut, aber Uli war ein lausiger Autofahrer, er fuhr immer ziemlich ziel und planlos. Er hatte einen alten Volvo. Vor unserem Motiv wurde gerade der Gehweg repariert, das störte natürlich bei den Dreharbeiten. Eines Tages als gerade keine Bauarbeiter da waren nahmen Udo Gaidosch der Requisiteur und ich die Platten und wollten sie verschwinden lassen. Mangels Versteckmöglichkeiten, packten wir sie in den Kofferraum des nächstbesten Autos. Es war Ullis Volvo. Damit sie dort nicht all zu sehr polterten, fütterten wir den Kofferraum mit vollen Müllsäcken aus unserem Bestand auf.
Der Volvo lag nun ziemlich tief, waren schon ein paar Zentner Platten im Kofferraum. In den folgenden Tagen beschwerte sich Uli über den hohen Benzinverbrauch seines Volvos und das er schlecht beschleunige. Eines Tages kam er mit dem Taxi zum Drehort, er hatte den Wagen in die Werkstatt gebracht, weil es streng roch und er zu viel Benzin verbrauchte. Am nächsten Morgen kam er wieder mit seinem Volvo an. Wie es der Zufall so will standen ausgerechnet Udo und ich zusammen draussen, da ich Kassetten einlegen mußte. Uli lachte und erzählte uns irgendein Scherzkeks habe seinen Wagen voller Gehwegplatten geladen, ob wir das mal schnell ausräumen könnten. Das taten wir dann auch, der Inhalt der Müllsäcke war aber schon in einem hochgradigen Stadium der Verwesung, ziemlich eklig ( Ja Uli, jetzt weißt Du es, wir waren es, hatten es aber im Prinzip gut gemeint )
Unser Produzent Bernd Eichinger ließ sich relativ selten am Drehort sehen, er war auch im Gegensatz zu allen anderen etwas unnahbar, aber nicht unangenehm.
Unsere nächsten Motive waren die Klos unter den S-Bahnbrücken der Kleiststrasse, also direkt im Fixerkiez. Die wurden gesäubert und dann mit Schokolade verschmiert, damit sie schmutzig aussahen. Zweimal konnten wir nicht drehen, da irgendein Fixer sich dort den goldenen Schuß gesetzt hatte und die Leiche erst abtransportiert werden mußte. War schon ein komisches Gefühl dann dort zu drehen. Mehrmals kamen dann auch Fixer, bedrohten uns und forderten Zutritt zur Toilette. Die hatten dann dort irgendwo ihren Stoff versteckt. Wenn sie wieder rauskamen waren sie viel entspannter und auf dem Klo lag dann die blutige Spritze.
Einmal drehten wir am Lehniner Platz mit künstlichem Regen, das funktionierte aber nicht so gut, der Regenmacher war ein Stümper. Es war ein subjektiver Schuß aus einem Auto heraus. Nadja mußte im strömenden ( künstlichen ) Regen agieren.
Ich saß mit Jürgen dem Kameramann und dem Tonmeister mit der Kamera im Auto, Hans führte eine weite Kamera. Der Ton ist bei solchen Szenen nicht zu verwenden, aber der Tonmann wollte sicherheitshalber trotzdem den Ton aufnehmen. Jürgen dachte der Ton würde eh im Müll landen und fluchte vor sich hin: Da regnets, da regnets nicht, diese Dilettanten, das klappt doch so nie, guck mal da kommt ein voller Strahl runter. Er konnte sich gar nicht beruhigen.
Am nächsten Tag bei der Mustervorführung ( bei der Mustervorführung schaute man sich das Material an, das am vorigen Tag gedreht wurde, um es zu kontrollieren, wir drehten ja auf 35 mm Film und nicht auf Video ) wurde Jürgen immer kleiner in seinem Kinositz, als er sein Gefluche hörte. Der Schneideraum hatte den Ton mit seinen Flüchen aus Versehen an den Film angelegt. Jürgen drehte sich zu Lothar dem Tonmeister um und sagte nur: das war ja nun wirklich nicht nötig.
Unser nächstes Motiv sollte die berühmt berüchtigte Original Discothek Sound in der Genthiner Strasse sein.




Das Sound war ein versiffter Laden, Treffpunkt der Drogenabhängigen. Dort hatte sich ein Teil der Originalgeschichte der Christiane F. abgespielt. Ich kannte den Laden schon vorher, war nicht so mein Ding, zu viele Menschen für die das Leben schon fertig war bevor es überhaupt begonnen hatte.
Die echte Christiane F. spielte als Statist in einigen Szenen mit. Sie war für mich eine Enttäuschung. Eine unscheinbare, junge Frau ohne Charisma. Erst dann wurde mir klar, das ihr Schicksal nur eines von vielen, nahezu identischen Schicksalen war. Sie hatte nur das Glück gehabt jemanden zu treffen, der sich für ihr kaputtes Leben interessierte und es aufschrieb. Es gab sicher noch viel extremere Schicksale in dieser Szene.
Nun kommt die zweite Enttäuschung aber im Prinzip auch eine positive Erfahrung. Ich bemerkte oft jemanden der im Hintergrund rumstand und die Dreharbeiten beobachtete. Er war etwa 1,70 groß, Mitte 30 und keineswegs auffällig oder extravagant. Irgendwann ging ich durch Zufall dichter an ihm vorbei. Er war keineswegs sofort zu erkennen, aber er war es: David Bowie, dessen Musik, den ganzen Film prägt. Er wohnte damals in Berlin. Er hielt sich unauffällig im Hintergrund auf, mischte sich nicht ein, keine Allüren, kein Stargetue. Ein ganz normaler Mann. Enttäuschend auf den ersten Blick, angenehm aber sein Verhalten und sein ganzes bescheidenes Auftreten.
Sein Konzertausschnitt aus dem Film ist allerdings eine Mogelpackung. Das Konzert selbst wurde in New York gefilmt, nur Nadja war dort und natürlich Uli Edel, der Regisseur selbst. Alle Szenen vor der Bühne wurden in der Berliner Deutschlandhalle gedreht, in den Umbaupausen eines Konzerts von Whitesnake und ACDC. Das Publikum selbst wurde bei dem ACDC Auftritt gedreht. Film ist halt Illusion, damit muß man leben. Bei den Strichszenen vor dem Sound kam auch mein damaliges Auto zum Einsatz ein braunmetalliger Fiat 124 Coupe. Eine Szene werde ich nie vergessen. Unser damaliger Produktionsleiter Harald Muchametow spielte auch kurz mit. Er spielte einen Spaziergänger der von Nadja angeschnorrt wurde. Er gab ihr nichts, daraufhin sagte sie Alter Wichser zu ihm und er haute ihr eine runter. Fortan mußte ich immer an diese Szene denken wenn ich Harald traf.
Eines Nachts drehten wir auf dem Dach des Europacenters. Ein paar Tage vorher war gerade Hochhaus in Flammen in den Kinos angelaufen. So gegen fünf Uhr früh fuhren plötzlich einige Löschzüge der Feuerwehr vor. Per Walkie Talkie kam die Anweisung, keiner verlässt das Dach, keine Fahrstühle benutzen.
Wir schauten mit mulmigen Gefühlen die 20 Stockwerke nach unten. Gott sei Dank hatte nur ein Papierkorb in einem der Büros Feuer gefangen. Wir atmeten auf als die Entwarnung kam.
Die nächsten Tage gab es alllerdings schlechte Nachrichten.

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